Was bleibt vom Tee, wenn man die Blätter weglässt? Im Fall von Kukicha: ziemlich viel. Denn dieser ungewöhnliche Tee besteht nicht aus den zarten Spitzen oder den weichen Blättern der Camellia sinensis – sondern aus ihren Stängeln, Blattadern und kleinen Blattstielen. Und genau daraus entwickelt sich ein völlig eigenständiges, überraschend komplexes Aroma, das so gar nichts von „Resteverwertung“ hat.
Der Name „Kukicha“ bedeutet übersetzt nichts anderes als „Zweig-Tee“. In Japan, wo diese Spezialität ihren Ursprung hat, wird er traditionell aus den Nebenprodukten hochwertiger Grünteeproduktionen wie Sencha oder Gyokuro gewonnen. Doch Kukicha ist längst mehr als ein Nebendarsteller – er hat seinen ganz eigenen Platz in der Teewelt gefunden.
Botanisch gesehen enthalten die Stängel und Blattadern der Teepflanze deutlich weniger Bitterstoffe als das Blattgewebe selbst. Das liegt daran, dass sie kaum Polyphenole oder Catechine einlagern, aber dennoch reich an L-Theanin, Zellulose und komplexen Kohlenhydraten sind. Das macht Kukicha zu einem milden, leicht süßlichen Tee mit wenig Adstringenz – oft mit Noten von gerösteten Nüssen, Heu, einem Hauch von Vanille oder sogar leichter Karamellisierung bei stärker erhitzten Varianten.
Bei Growing Karma achten wir besonders darauf, welche Bestandteile wir für unseren Kukicha verwenden. Es geht uns nicht um „Verwertung“, sondern um eine bewusste Selektion jener Pflanzenteile, die etwas Eigenes erzählen. Die fein verzweigten Blattadern, die elastischen Stängel und manchmal sogar holzartige Mittelrippen enthalten Aromen, die sich langsam und gleichmäßig beim Aufguss entfalten.
Ein entscheidender Vorteil: Kukicha ist sehr ausgewogen. Durch das Verhältnis von Blattstiel zu Blattfaser entsteht eine stabile Struktur, die beim Aufbrühen nicht kippt – das heißt, der Tee bleibt sanft, auch bei längerer Ziehzeit. Gerade in der japanischen Teekultur wird diese Eigenschaft geschätzt, etwa bei der Zubereitung für Kinder, ältere Menschen oder in der täglichen Haushaltsküche.
Doch Kukicha kann auch vielschichtig sein. Besonders, wenn er aus Pflanzen stammt, die langsam und natürlich gewachsen sind – wie in unserem klimaangepassten Anbau in Deutschland. Hier entwickeln sich Stängel mit einer festen, aber feinporigen Zellstruktur, die während der Verarbeitung besonders gut Röstaromen annehmen oder feine Süße freisetzen können.
Manche Varianten von Kukicha werden übrigens leicht angeröstet – dann spricht man von „Karigane“ oder „Hōjicha Kukicha“. Diese Röstung verleiht dem Tee ein warmes, malziges Profil und mildert die ohnehin geringe Bitterkeit noch weiter ab. Ideal also für alle, die es weich, rund und zugleich charaktervoll mögen.
Ein Blick auf die Anatomie dieser Pflanzenbestandteile zeigt, wie viel mehr in ihnen steckt:
Die Leitbündel in den Stängeln – das sind die feinen Röhrensysteme, durch die Wasser, Mineralien und Zucker transportiert werden – speichern Spuren jener Stoffe, die das ganze Pflanzenwachstum ermöglichen. Sie sind wie Adern einer langen Reise: Sie erzählen nicht vom Ziel, sondern vom Weg. Und genau das schmeckt man.
Vielleicht ist das der Grund, warum Kukicha in Japan nicht selten als Alltagsluxus gilt – schlicht, aber durchdacht. Klar im Ausdruck, dabei weich in der Ansprache. Ein Tee, der nicht auffallen muss, um zu wirken.
Wenn Du Kukicha das erste Mal probierst, erwarte keinen aufdringlichen Charakter. Er kommt leise, aber bleibt lang. Vielleicht erinnerst Du Dich an geröstetes Getreide. Vielleicht an warmes Holz. Vielleicht auch einfach an eine Art von Klarheit, die man nicht oft im Tee findet.
Und vielleicht schaust Du beim nächsten Mal etwas anders auf die Stängel, die beim Sortieren übrig bleiben. Nicht als Rest. Sondern als Essenz eines Weges – strukturell, klar, nahrhaft. Und genau richtig für eine Tasse Kukicha.
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