Wenn es eine Matcha-Schale gibt, die wie ein stiller Grundton durch die gesamte japanische Teekultur schwingt, dann ist es die Wan-nari Chawan. Sie ist so selbstverständlich, dass sie kaum auffällt – und doch steckt in ihr der Ursprung zahlloser Variationen. „Wan“ (椀) bedeutet ganz einfach „Schale“ oder „Napf“; „nari“ (形) bezeichnet die Form. Es geht hier also nicht um eine exotische Spezialform, sondern um das ursprüngliche Gefäß, das Tee hält – und das ihn erst zugänglich macht.
Die Form als funktionales Ideal
Die Wan-nari Chawan ist weder betont tief noch auffällig flach, weder streng zylindrisch noch ausschweifend gebogen. Ihre Proportionen sind ausgeglichen, meist im Verhältnis 1:1,2 zwischen Höhe und Durchmesser. Die Wandung steigt sanft an, der Rand ist leicht geöffnet, jedoch nicht ausladend.
Genau diese Balance macht sie zum bevorzugten Gefäß für Usucha, also die Zubereitung von dünnflüssigem Matcha. Der Chasen kann sich frei bewegen, ohne an Grenzen zu stoßen – weder zu viel Weite, die den Schaum verlieren ließe, noch zu viel Enge, die das Aufschlagen erschweren würde.
Die Innenform ist harmonisch rund, der Boden oft leicht gewölbt, sodass sich der Bambusbesen beim Schlagen zentriert führen lässt. Die Außenwand liegt angenehm in der Hand, die Wandstärke sorgt für Haptik ohne Schwere.
Der Fuß als Zeichen von Erdung
Der Kōdai (Standfuß) der Wan-nari Chawan ist mittelhoch, klar geschnitten, in der Regel unglasiert. Er wirkt nicht dominant, verleiht der Schale aber einen stabilen Halt – ein Gleichgewichtspunkt, der nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch wichtig ist.
Gerade in der Teezeremonie, in der jede Bewegung Bedeutung trägt, ist dieser Punkt entscheidend: Das Anheben, Drehen, Zurückstellen der Schale geschieht nicht zufällig – und der Kōdai bildet dafür das materielle Rückgrat.
Herstellung und Keramiktraditionen
Die Wan-nari Chawan ist keine Erfindung eines bestimmten Ofens oder einer Epoche. Vielmehr ist sie eine Grundform, die in fast allen bedeutenden Keramikregionen Japans auftaucht:
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In Seto wird sie oft in transparenten Glasuren oder mit Kuro-Oribe-Elementen versehen
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In Shigaraki erscheint sie mit Naturasche-Anflug, grobem Scherben und archaischer Ausstrahlung
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In Mino sieht man sie häufig mit Shino- oder Ki-Seto-Glasuren, teils mit Eiseneinsprengseln oder Hakeme-Pinselspuren
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Auch in Raku-yaki, der niedertemperierten Brennweise, ist die Wan-nari vertreten – besonders in Schwarz- oder Rot-Raku
Diese Vielfalt der Herkunft spiegelt ihre Funktion wider: universell, offen, zugänglich.
Historische Bedeutung
Die Wan-nari-Form ist vermutlich die älteste standardisierte Teeschalenform Japans. Schon in der frühen Muromachi-Zeit (14.–16. Jahrhundert) finden sich Schalen dieser Art in Klöstern und in der höfischen Teekultur. Im Gegensatz zu spezialisierten Chawan wie der Ido-Schale (Sugi-nari) oder der Hira-gata war die Wan-nari immer ein Alltagsobjekt – und genau darin liegt ihr Wert.
In der Formensprache des Wabi-cha, wie sie vom Teeweg-Meister Sen no Rikyū geprägt wurde, steht die Wan-nari für das, was weder aufdrängt noch versteckt – sondern einfach da ist. Eine Schale, die Tee hält, weil er getrunken werden will.
Ästhetik im Gebrauch
Die Wan-nari ist eine Schale für jede Gelegenheit, und genau darin liegt ihr tiefer Wert. Sie wird in der traditionellen Teezeremonie ebenso verwendet wie im modernen Kontext, in Teesalons, Cafés oder Zuhause.
Ihre neutrale Form erlaubt vielfältige Glasuren – von klassischem Weiß (Kohiki) über blasse Grüntöne (Oribe) bis zu stark gemaserten Naturton-Oberflächen mit Ascheanflug.
Der Teemeister kann durch Auswahl der Schale Einfluss nehmen auf die Stimmung der Zeremonie – eine glänzend glasierte Wan-nari wirkt festlich und präsent, eine matte, erdige Version vermittelt Zurückhaltung und Tiefe.
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